Kanon der Friedens-Weltliteratur II, oder: Anils Geist auf der Flucht in der Ukraine+++++Canon of Peace-Worldliterature, or: Anils Ghost on the run in ukraine

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Als Oblomow der Kater, Yekaterina und Daryna in ihrer Scheune aufwachten war es dunkel. Die Mädchen hatten erschöpft und traumlos geschlafen, nur Oblomow war in der Nacht einmal aufgestanden und hatte sich eine Maus geschnappt weil ihm der Magen knurrte.

Für die Mädchen gestaltete sich die Nahrungsaufnahme schwieriger, das wußte Oblomow von seinen Erfahrungen mit Menschen auf dem Autobahnrastplatz, deshalb hatte er Vorsorge getroffen. In der Scheune waren Säcke mit Kartoffeln gestapelt und er hatte einen mit scharfen Krallen zerfetzt und schrumpelige Kartoffeln mit den Pfoten zu den Mädchen gekickt. Sie erwachten in einem Kreis aus Kartoffeln, ein ukrainisches Kriegsmandala mit lebendem Zentrum. Yekaterina klangen die Ohren, als ob sie im Verstärker einer Hardrockgruppe geschlafen hätte, Daryna war immer noch leichenblass mit unfokusiertem Blick. Oblomow mußte seine ganze katerhafte Ausdruckskraft zur Hilfe nehmen, bis er ihnen gezeigt hatte wo sie in der Scheune das Brennholz und das Sturmfeuerzeug fanden. Zu guter Letzt brannte dann doch ein kleines Feuer und die Mädchen hatten die Kartoffeln in die Glut gelegt und auf kleine Äste gespießt um sie irgendwie eßbar zu machen. Oblomow war zufrieden.

Gierig machten sie sich über die heißen Klumpen her, und ihre Hände und Gesichter färbten sich schwarz vom Ruß. Manchmal tranken sie Wasser aus dem alten Eimer. Zwischen ihnen war kein einziges Wort gefallen. Als die Mädchen fertig waren saßen sie stumm am Feuer, sahen in die Flammen, jede in ihrer eigenen Welt die sie nicht mehr verstanden. Eine Welt in der junge Mädchen, bedroht von Bomben, Tod und Verderben mit einem dicken Kater in einer eiskalten Nacht um ein Feuer herumsitzen, beraubt von Allem was ihnen lieb und teuer war. Oblomow schüttelte sich, wie konnte das passieren, immer und immer wieder. Und als ob Yekaterina seine Gedanken gehört hätte nahm sie das Buch ihres Vaters unter ihrem Pullover hervor und begann laut vorzulesen. Auch um das elende Surren in ihren Ohren zu vergessen, welches von der Detonation herrührte, die nur sie und Daryna lebendig zurückgelassen hatte. Die restlichen 91 Kinder, vier Betreuer und der Busfahrer waren getötet worden. So war die Welt, und irgendwie war sie schon immer so gewesen. Und niemand wußte, ob die Väter, Mütter, Geschwister, Freunde Großeltern der 96 getöteten Menschen jemals erfahren würden, was mit ihnen geschehen war. Und während sich an der türkischen Riviera blasse Leiber in der Sonne rot färben, färbten sich in der Scheune die Kartoffeln schwarz und die Geschichte von Anil nahm ihren Lauf.

Die Geschichte eines grausamen Bürgerkrieges auf einer tropischen Insel, dessen Opfer sich dem stummen Reigen aller Kriegstoten anschlossen und denen nur die noch Lebenden eine Stimme verleihen können.

Yekaterina ließ ihre Stimmen erklingen und über Sri Lanka erhob sich ein Seufzen, ein Windhauch, Vorhut eines Orkans der sich über warmen Meeresströmungen bildet. Und inmitten des ukrainischen Krieges brüllte der Chor der Toten los, es solle Frieden werden, während dem zerschossenen und aus tausend Splittern wieder zusammengesetzten Budha auf der Insel eine Träne die Wange hinabrollt. Doch bevor sich Daryna mit starrem Blick wieder hinlegte sagte sie auf russisch -lies weiter-. Und im Liegen, aneinandergeschmiegt wurde Yekaterinas Stimme immer leiser. Sie waren auf der Flucht, zusammen mit allen anderen Kriegsopfern, denen Michael Ondaatje in seinem Roman Anils Geist eine Stimme verleiht. Sie waren nicht mehr alleine. Und sobald der Tag anbrach würde Oblomow sie wecken und durch die verwüstete Ukraine leiten, immer weiter und weiter, bis man das Krachen der Geschütze nicht mehr hören konnte, sondern das Mahnen der Toten …

3 Kommentare zu „Kanon der Friedens-Weltliteratur II, oder: Anils Geist auf der Flucht in der Ukraine+++++Canon of Peace-Worldliterature, or: Anils Ghost on the run in ukraine

  1. Grossartig, Yogi!

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  2. This sure brought it home. Tears of sadness, frustration and disbelief.

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  3. Pace e Baci per Oblomow, Daryna e Yekaterina

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